Urangst, Mythos, Faszination: der weiße Hai
Kaum ein Tier löst so starke Emotionen aus wie der Weiße Hai. Und zwar im Positiven wie im Negativen: Seine Eleganz ist unübertroffen, jede einzelne Bewegung ist eine Augenweide, seine Erscheinung ein Paradebeispiel an Kraft, Souveränität und Gefahr.
Grund genug, einen genaueren Blick auf den „Great White“ zu werfen. Denn zu den vielen Fakten und wissenschaftlichen Beobachtungen gesellen sich viele Vorurteile und Gerüchte, die nicht immer der Wahrheit entsprechen, vor allem sein Jagdverhalten in Bezug auf Menschen.

Der Weiße Hai – Der König der Meere ist unverwechselbar
Die Natur ist ein großartiger Architekt. Der Weiße Hai ist ein weiterer Beleg dafür, wie die Fakten zeigen:
- Der durchschnittliche Weiße Hai ist 4 bis 6 Meter lang.
- Sein lateinischer Name lautet Carcharodon carcharias
- Er wird etwa 1,5 Tonnen schwer (größere Abweichungen in beide Richtung sind häufig)
- Geschlechtsdimorphismus: Weibliche Weiße Haie werden im Durchschnitt größer und schwerer.
- Seinen Namen verdankt er der weißen Unterseite; an den Seiten und auf dem Rücken ist er deutlich dunkler, typisch sind Färbungen von Grau bis Tiefblau. Dieses Muster ist kein Zufall, da es sowohl von oben als auch von unten als Tarnung fungiert.
- Er erreicht eine Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h.
- Seine maximale Tauchtiefe wird auf 900 bis 1.000 Meter geschätzt.
- Weiße Haie können erwiesenermaßen über 70 Jahre alt werden.
Wissenschaftlich belegte Rekordexemplare zeigen, dass eine Länge von beinahe 7 Metern und ein Gewicht von über 3 Tonnen möglich sind. Dabei handelt es sich jedoch um „Jahrhundertexemplare“, um Raritäten also, die nur im Abstand von vielen Jahren vorkommen.
Der Weiße Hai ist optisch leicht von anderen großen Haien zu unterscheiden. Neben der Färbung und der Größe hilft vor allem seine Bauform bei der Erkennung: Der Weiße Hai ist enorm kräftig gebaut, seine Schnauze kompakt und sein Maul charakteristisch geformt. Letzteres ist – wie bei fast allen Meeresbewohnern – das wichtigste Werkzeug des Weißen Haies, vor allem wenn es um die Nahrung geht.
Der Speiseplan des weißen Hais: Robben und Pinguine als Tagesgeschäft

Der Weiße Hai ist spezialisiert auf Robbenarten. Dazu gehören Seehunde, aber auch die größeren Seelöwen und die noch größeren Seeelefanten. Auch Pinguine stehen auf der Agenda. Dazu kommen einige weitere Spezies, und dabei zeigt sich, dass selbst der größte Raubfisch der Welt nicht ausschließlich auf Gourmet-Fänge aus ist.
- Große Exemplare machen auch Jagd auf Delfine und andere kleine Zahnwale
- Kälber von größeren Walen wie Grauwalen sind eine interessante Beute
- Kadaver von Großwalen sind ebenfalls eine wichtige Nahrungsquelle
Doch die Beute muss nicht immer groß sein. Im Magen des Weißen Haies wurden Rückstände von Thunfischen, Rochen, Schwertfischen, Seevögeln und sogar von Schildkröten gefunden.
Nur ein natürlicher Feind quer durch alle Weltmeere
Selbst der Herrscher der Unterwasserwelt hat natürliche Feinde – wenn auch nicht viele. Schließlich ist der Weiße Hai ein sogenannter „Apex Predator“ – also ein Raubtier an der Spitze der Nahrungskette.
Einzig der Orca (Schwertwal) stellt eine Konkurrenz bzw. Gefahr dar.

So sind Fälle dokumentiert, in denen Weiße Haie Orcas zum Opfer fielen. Umgekehrt kam das (zumindest offiziell) noch nicht vor. Doch obwohl man sogar einige (wenige) Orcas vermutet, die sich auf große Haie als Nahrung spezialisiert haben, sind Kämpfe zwischen Orcas und Weißen Haien extrem selten. Wenn überhaupt, entstehen sie meistens als Folge besonderer Umstände, etwa wenn sich Orca-Mütter mit Nachwuchs durch die Präsenz eines Weißen Hais bedroht fühlen.
Da der Weiße Hai selbst im Duell mit einem Orca nicht völlig wehrlos ist, meiden beide Seiten die Konfrontation so gut wie möglich. Dennoch: Tritt der Fall der Fälle ein, hat der Orca schon auf dem Papier die Vorteile auf seiner Seite. Mit bis zu 10 Meter Länge und über 6 Tonnen Gewicht übertrifft er die Körpermaße des Weißen Hais deutlich; dementsprechend einseitig gehen die Kämpfe aus.
Viel wichtiger: Weißer Hai und Mensch
Hinsichtlich Gesamtpopulation und Verbreitung spielt der Orca jedoch keine Rolle für den Weißen Hai. Ironischerweise ist jenes Wesen, das sich am meisten vor dem Weißen Hai fürchtet, gleichzeitig dessen größte Bedrohung.
Die Rede ist natürlich vom Menschen. Obwohl der Mensch den Weißen Hai nicht bewusst jagt (bedeutet: nicht kommerziell), dezimiert der Mensch den Haibestand kontinuierlich. Durch die Überfischung der Meere findet der Weiße Hai immer weniger Nahrung; der Mensch ist somit gewissermaßen zum Nahrungskonkurrenten geworden. Außerdem fallen viele Weiße Haie der Fischerei zum Opfer; vor allem in Schleppnetzen werden immer wieder Weiße Haie gefunden.
Im Jahr 2000 wurde der Weiße Hai deswegen in die Rote Liste gefährdeter Tiere aufgenommen. Vielleicht sogar mit Erfolg, denn Schätzungen zufolge scheint sich die Population zu erholen. So wurde die ursprüngliche Einschätzung vor der Küste Kaliforniens von etwas über 200 auf knapp 2.000 korrigiert – ein gewaltiger Sprung also, der dem Raubtier Hoffnung machen darf. Auf der anderen Seite wurden vor Südafrikas Gansbaai nur etwa 530 Weiße Haie gezählt – und damit knapp die Hälfte des erwarteten Werts. Wenn überhaupt, ist also vorsichtiger Optimismus angebracht; gesichert ist die Zukunft des großen Weißen jedoch noch lange nicht.
Doch wie sieht es mit Angriffen auf Menschen aus?
Keine Frage: Der Weiße Hai gehört zu den Menschenhaien, ein guter Anteil der Angriffe geht auf ihn zurück. Allerdings längst nicht alle – und auch nicht so viele, wie die Medien es oft Glauben machen wollen. Tatsächlich werden viele Angriffe dem Weißen Hai zugerechnet, meistens aus Unwissen über den genauen Unfallhergang, und der Weiße Hai ist nun einmal der Promi unter den Haien.

Glaubt man neuen Erkenntnissen, ist der Weiße Hai sogar weniger aggressiv gegenüber Menschen als seine Artgenossen. So neigt der Tigerhai viel stärker zum Zubeißen, auch auf den Bullenhai entfallen viele Angriffe. Als Sündenbock muss trotzdem der Weiße Hai herhalten, zumindest immer dann, wenn der Angreifer nicht zweifelsfrei als andere Art identifiziert werden kann.
Sieht man sich die Zahlen an, wird klar, dass der Weiße Hai lange nicht so tödlich für den Menschen ist, wie viele glauben. Pro Jahr werden insgesamt rund 70 bis 80 Haiangriffe registriert, von denen im Schnitt vier bis acht tödlich für den Menschen enden. Der Weiße Hai wiederum ist nur für einen Teil dieser Unfälle verantwortlich. Grob geschätzt, fallen dem Weißen Hai somit weniger als eine Handvoll Menschen jährlich zum Opfer.
Übrigens: Die Erkenntnis, dass Haie nicht am Menschen als Nahrung interessiert sind, stimmt tatsächlich. Haie lieben fettige Beute; Robben und Pinguine besitzen einen hohen Fettanteil, Menschen dagegen nicht. Bei allen registrierten Angriffen handelt es sich um Versehen, sei es aus Verwechslungsgründen (Surfer an der Oberfläche haben eine ähnliche Silhouette wie Robben) oder aus Neugier. Das erklärt auch, warum weniger als zehn Prozent der Angriffe tödlich enden – denn nach einem Probebiss merkt der Hai, dass er diese Art von Beute überhaupt nicht haben will und lässt vom Opfer ab.
Mehr noch, geht das Desinteresse an Menschen sogar so weit, dass Haie entgegen aller Gerüchte nicht einmal menschliches Blut riechen können. Der einfache Grund: In der Evolution ist der Mensch nicht als Hai-Beute vorgesehen, folglich ist die Nase des Hais gar nicht auf Menschenblut spezialisiert.
Dennoch: Im allgemeinen Gedankengut ist der Weiße Hai ein Synonym für Lebensgefahr und Angriffslust. Ein Bild, das durch Kinofilme wie die „Jaws“-Reihe (dt. „Der Weiße Hai“) noch bestärkt wurde. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun.
IQ und Instinkt: Wissenschaftler vermuten hohe Intelligenz
Das durchaus wählerische Fressverhalten des Weißen Hais wird von vielen Experten als Zeichen seiner Intelligenz gewertet. Auch damit widerlegt der größte Raubfisch der Erde das Klischee vom blutrünstigen, eindimensionalen Mörder. Laut Wissenschaft haben Weiße Haie ein Lang- und ein Kurzzeitgedächtnis; außerdem sind sie lernfähig. So zeigen bestimmte Haie individuelle Verhaltensmuster, die sich mit der Zeit ändern können, abhängig von äußeren Einflüssen und Erfahrungen des Tiers.

Gegen das Ammenmärchen vom dummen Hai sprechen auch anatomische Untersuchungen. So entspricht das Verhältnis von Gehirn zur Körpergröße in etwa dem einer Ratte, und deren Intelligenz ist hinreichend bekannt.
Informationen nimmt der Weiße Hai auf verschiedenen Wegen auf: Sein Seh-, Tast, Geschmacks- und Geruchssinn sind hochentwickelt, dennoch ist er kein reiner Instinktjäger. Die Augen sitzen stark seitlich und ermöglichen ein weites Sichtfeld, per Seitenlinienorgan nimmt der Hai Schwingungen und Vibrationen wahr. Dieser sogenannte Ferntastsinn ermöglicht es ihm, jederzeit Informationen zur erweiterten Umgebung zu beziehen, seien es andere große Fische bzw. Wale, Schiffsmotoren, Schwärme oder Oberflächenbewegungen.
Bei der Jagd spielen außerdem die Lorenzinischen Ampullen eine Rolle. Dabei handelt es sich um Elektrorezeptoren direkt unter der Haut, mit denen der Hai elektrische Felder wahrnehmen kann. Auf diese Weise erfasst er die elektrischen Potenziale anderer Meeresbewohner, wobei man vermutet, dass stärkere Sinne wie die Augen auf kurze Distanz effektiver und deshalb wichtiger sind. Allerdings helfen die Rezeptoren auch bei der Orientierung; der Weiße Hai kann sich somit auf seinen eigenen geomagnetischen Kompass verlassen. Damit ist klar, warum sie ihr Ziel selbst auf langen Reisen immer erreichen – und davon gibt es nicht wenige im Leben eines Hais.
Die Verbreitung: Allrounder mit Vorlieben
Der Weiße Hai ist äußerst mobil und flexibel. Er ist in allen Weltmeeren zu finden, sowohl im Hochsee-Bereich als auch in Küstennähe, wobei er den dazwischenliegenden Bereich (Schelfmeer) bevorzugt. Geographische Längengrade sind ihm nicht so wichtig wie das Nahrungsangebot vor Ort.
Dennoch trifft man ihn in manchen Regionen deutlich häufiger an als in anderen. Der Weiße Hai bevorzugt gemäßigte Regionen, in kalten Monaten zieht es ihn oft in subtropische und tropische Meere. Zu den Spots mit dem weltweit höchsten Aufkommen gehören:
- Südafrika: Die Gansbaai („Gänsebucht“) ist besonders bekannt, da dort Käfigtauchen für Adrenalin-Fans angeboten wird. Hauptgrund dafür ist die lokale Robbenkolonie mit rund 30.000 Exemplaren – Seerobben stehen auf dem Speiseplan von Haien schließlich ganz weit oben.
- Australien: Weiße Haie leben vor allen australischen Küsten, doch speziell entlang der Ostküste scheinen sie sich wohlzufühlen. Das beginnt an der Gold Coast (wo unter anderem Brisbane liegt) und zieht sich bis zum Great Barrier Reef hinauf. Auch vor Sydney, weit im Süden der Ostküste, sind Weiße Haie keine Seltenheit.
- Kalifornien, USA: Nördlich von San Francisco befindet sich das Rote Dreieck, eine Region, in der besonders viele Weiße Haie leben.
- Florida, USA: In den Gewässern vor dem New Smyrna Beach gibt es laut „International Shark Attack Files“ die meisten Angriffe auf Menschen weltweit – der Weiße Hai spielt dabei ebenfalls eine Rolle.
- Hawaii, USA: Hawaii gehört ebenfalls zu den Hot Spots von Weißen Haien, allen voran die Insel Maui.
- Brasilien: Vor Recife, der Küstenstadt im Norden des Landes (Bundesstaat Pernambuco), gibt es mit Abstand die meisten Haiangriffe in ganz Südamerika.
Abgesehen von diesen Regionen gilt: Der Weiße Hai kann in allen gemäßigten und warmen Regionen gesichtet werden, selbst im heimischen Mittelmeer kommt er vor. Doch wie gesagt: Ein Grund zur Panik ist das nicht, denn die Wahrscheinlichkeit, einem Weißen Hai zum Opfer zu fallen, ist um ein Vielfaches kleiner als im Lotto zu gewinnen oder vom Blitz getroffen zu werden.
Genaue Schätzungen zum Bestand sind auch deswegen so schwierig, da der Weiße Hai über längere Zeiträume nomadisch lebt. Bei Männchen vermutet man, dass sie beinahe die Hälfte des Jahres zwischen den Populationen unterwegs sind, um auf diese Weise den Genpool bei Fortpflanzung zu durchmischen.